Freitag, 26. November 2010

Isaak Babels Stirnglatze

Lange genug wurde eine Beziehung zwischen der Literatur russischer Schriftsteller und deren Frisuren geleugnet. Auch heute noch wird das Thema stiefmütterlich behandelt: Dozenten, die sich damit befassen, werden meist cybergebasht. So zum Beispiel auch Roland K. aus W. an der B. bei L. in der E. Er sagt: „Mir wurde angedroht, mich am Wannsee zu erschiessen. Als ich nach Paris ging, sägte man sämtliche Äste der Champs-Elysees an. Zum Glück traf mich keiner. Literaturwissenschaftler können richtige Schweine sein.“ Es geht aber noch schlimmer: „Dem Kollegen H., der ebenfalls dieses Thema in seinen Vorlesungen behandelt, wurden solange Klingelstreiche gespielt, bis die Klingel hin war. Der Sachschaden beträgt 19 Euro 49 Cent inklusive Mehrwertsteuer. Die Versicherung bezahlt den Schaden nicht. So kann man sich die Zukunft versauen. Ich treffe ihn heute manchmal im Café, so wie früher. Aber“, ihm entfährt ein tiefer Seufzer, „es ist einfach nicht mehr dasselbe.“ Doch wie konnte es soweit kommen?

Alles begann damit, dass ihm an einem lauen Winterabend in einem von Dostojewskis (<-) Büchern eine kraus formulierte Stelle auffiel. Er las weiter und fand noch einige solcher Stellen. Auf der darauffolgenden Suche nach dem Ursprung des Krausen in Dostojewskis Werk half ihm der alte Schlingel Zufall. „Als ich ein Bild von Dostojewski sah, das von einem Strassenkünstler auf dem Bürgersteig gekreidet worden war, wurde mir schlagartig alles klar. Das mit dem Krausen meine ich.“ Wer je ein Bild Dostojewskis gesehen hat, muss lachen: Der krause Bart in Form und Grösse einer kleinen Schäfchenwolke hängt ihm über den Solarplexus und wärmt ihm das spätzaristische Bäuchlein. „Als seriöser Wissenschaftler musste ich der Sache natürlich nachgehen.“ Was folgte, war eine vier Jahre dauernde Suche nach Beweisen, die seine These stützten. Während der Recherche wurde er einmal in einer Bibliothek fast von einem Schieberegal erdrückt, stolz zeigt er mir die Narbe am Knie.

Es sind vornehmlich die russischen Schriftsteller des 19. Jahrhunderts, deren Frisuren er untersucht, denn „damals trug man noch Frisur, besonders in Russland“. Bei seinen Forschungen stiess er auf Erstaunliches: „Bei den meisten Autoren liegt eine Verbindung zwischen Schreibstil und Frisur vor. Das merken sogar blutige Laien.“ Als ich ihn frage, was er denn für Beweise für seine Hypothese habe, haut er mir erstmal eine runter, sagt dann: „Ist ihnen denn noch nie die schmierige und gescheitelte Satzstellung Nikolaj Gogols (<-) aufgefallen? Seine geschmeidige, kräftig-glänzende Wortwahl? Und seine zarten, leicht gezwirbelten Personenbeschreibungen? Dann sind sie ein Idiot!“ Den letzten Satz sagte er mit soviel Eifer und Spucke, dass ich mir mit dem Taschentuch erst einmal über das Gesicht wischen muss. Dann gebe ich ihm recht. „Das ist mir tatsächlich schon aufgefallen“ versuche ich mich anzubiedern. „Oder dann Puschkin“ (<-), fährt er fort, „sein Barbier wendete dieselbe Technik an, wie Puschkin bei seiner Lyrik: In der Mitte Kahlschlag, links und rechts darf es spriessen.“ Was das zu bedeuten habe, frage ich ihn. „Dass die literaturgeschichtliche Einordnung Puschkins ohne seinen Barbier ganz anders ausfiele“, er macht eine sehr lange Kunstpause, „schlechter.“ Diese Aussage, die mich gar nicht stört, nutze ich, den Entrüsteten zu spielen, um ihm eine zurückpfeffern zu können. Er weicht gekonnt aus, meine Hand schlägt ins Leere, fast falle ich vornüber. Seine geschmeidige Ausweichbewegung zeugt von jahrelanger Übung und einem beweglichen Becken. „Oder sehen sie sich einmal Gorki mit seinem Walross-Schnäuzer an. Woher glauben sie, kommt der oft träge Handlungsverlauf seiner Stücke? Das Herumwälzen in den immer gleichen Themen? Dazu die dicke, fettschichtartige Beziehung der Charaktere zueinander? Für mich ist der Fall klar.“

Ich frage ihn, ob man nach dieser Methode auch die Autorschaft eines Textes klären könne. Konspirativ-flüsternd erklärt er mir, dass bereits Tests laufen, bei denen Zeichner aufgrund von Texten Phantombilder anfertigen. Das Projekt sei in der Anfangsphase und über Ergebnisse könne er noch nicht sprechen, um die Arbeit nicht zu gefährden. Da sehe ich meine Chance und will ihn freundschaftlich-zustimmend in die Seite knuffen, da duckt er sich weg und rollt sich auf dem Linoleum ab. Es quietscht ein wenig. Zum Abschluss will ich von ihm wissen, wen er derzeit untersucht. „Die Stirnglatze Isaak Babels habe ich noch nicht gefunden.“

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